Vor knapp 50 Jahren entstand an der „unwahrscheinlichen Schnitt- stelle zwischen Big Science, militä- rischer Forschung und einer liber- tären Kultur“ (Manuel Castells) die Grundlage dessen, was unsere Ge- sellschaft so massiv verändert wie nur die Erfindung der Schrift oder des Buchdrucks zuvor: das Inter- net und damit die Digitalisierung (of everything). Es verändern sich dadurch spürbar unsere Lebens- und Arbeitswelten, aber auch die Organisationen und Institutionen, die wir führen, weiterentwickeln und insbesondere gründen. Es wird Zeit, die Digitalisierung als Grundlage für die nächste (post-) industrielle Revolution, als Vorbe- reitung auf das „Second Machine Age“ zu verstehen. Denn die Stär- ken und unternehmerischen Prin- zipien, die im Kontext unserer einmaligen „Sozialen Marktwirt- schaft“ Deutschland in Europa er- folgreich in das 21. Jahrhundert geführt haben, sind eben die Prin- zipien, deren Beobachtung und Weiterentwicklung wir auch in Zu- kunft unseren Erfolg verdanken werden.
Ein positiver Gendefekt und seine (europäischen) Rahmen- bedingungen
Wir vermuten, es „leidet“ jeder Unternehmer (und viele Familien- unternehmen) unter einem „positiven Gründer-Gendefekt“. Betroffene sehen die Welt voller Chancen – mehr als Risiken – und toller Probleme, die man erst für sich selbst und dann auch für den Markt lösen kann. Mehr noch als heute muss, wer ein Unternehmen gründen möchte, es bei uns kön- nen und dürfen, unabhängig von Alter und Geschlecht, Ausbildung und Herkunft. Und dabei Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und auch Kultur und Zivilgesellschaft an seiner Seite wissen.
Zur psychopolitischen Kultur zu (be-)gründender Innovationen
Da in komplexen Gesellschaften und technologisch fortschreiten- den Zeiten jede Lösung neue Probleme hervorruft, entstehen immer neue Chancen, und jedes Scheitern ist nur ein Zwischen- schritt zu einer noch besseren Lösung in einem noch spannen- deren Markt. Wenn noch dazu die technikhistorische Forschung schon seit Jahrzehnten das Schei- tern und nicht den Erfolg als Regel- fall auf dem Weg zu hochinnova- tiven und disruptiven Produkten nachweist, dann sollte es mindes- tens irritieren, dass unsere heuti- gen Gründer „Angst zu scheitern“ haben müssen. Dass unsere Ban- ken und Versicherungen, unsere Forschungs- und Förderpolitiken, unsere Schulen und Universitäten ihre evidenzlose Eindimensiona- lität gegenüber dem Scheitern beibehalten, statt Partner für den nächsten Versuch zu sein.
Unternehmensgründungen als gelebte Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit
„Das Gesicht des Landes verändert sich und das Profil seiner Volks- wirtschaft“, fasst der SPIEGEL in seiner Serie „Deutschland 2030“ zusammen: Unser „produktiver Kern schrumpft, alter Wohlstand wird aufgebraucht, neuer Wohl- stand nicht geschaffen.“ Hier zeigt sich exemplarisch, wie ein pro- aktiv-unternehmerischer Umgang mit Chancen und Risiken einen wesentlichen Beitrag zur Verbesse- rung der inter- und intragenera- tionellen Gerechtigkeit leisten kann: Wer, wenn nicht (junge) Unternehmer sollen die Möglich- keiten der Digitalisierung für den Umgang mit den Megatrends nut- zen und damit den alten Wohl- stand in einen neuen überführen? Auch für unsere großen Konzerne und Familienunternehmen ist es die „intrapreneurial“ Kompetenz der Entrepreneure, die neue Produktivität ermöglichen kann.
Von Manouchehr Shamsrizi und Lars Hinrichs